Über das Wesen tiefer Schönheit bei den Körpern und den Landschaften
Wer, aus Überdruss am Overkill kitschiger Fleischbeschau-Events und Naturidyll-Bebilderungen, auf der Suche nach dem Geheimnis solcher Werke ist, die sich mit dem wahren Wesen der Schönheit von Körpern und Natur gelungen auseinandersetzen, der wird bei den Arbeiten der Fotokünstlerin Antje Hain fündig, die weder mit voyeuristischen Gags noch mit drollig-spießigen Arrangements agiert.
Es tritt eine Fotokünstlerin in die Öffentlichkeit, welche ihre Kunst beherrscht, dem Sinnlichen unmittelbar Präsenz verleiht und mit ihren eigenen Mitteln tief einzudringen vermag in gewaltige, uns umgebende, sowohl lustvolle als auch grausame Schönheiten. Wissen und Können hat sich Antje Hain dafür erworben: Zuerst in üblicher Weise als Fotografin ausgebildet, dann als Assistentin von Modefotografen tätig, führte sie nach dem Absolvieren der Meisterklasse in München Auftragsarbeiten im Bereich der Mode- und der Beautyfotografie aus und unternahm ausgedehnte Fotoreisen in andere Kontinente. 1974 erhielt sie einen Arbeitsvertrag als Theaterfotografin an der Ostberliner Volksbühne. Diese Arbeit, bis zum Jahre 1980, prägte Antje Hains Leben und ihren künstlerischen Stil bis heute. Sie entwickelte eine echte, gekonnte Theatralik. Das lässt sich nicht nur anhand einzelner Werke feststellen, sondern auch durch ihre Ausstellungstätigkeit zum Thema „Akt“. Mit Beteiligungen 1986 an „Hautnah“ in den Künstlerwerkstätten Lothringer Straße, an der Ausstellung „Nackte Bilder“ im Jahr 1993, sowie 1996 bei „Nackt“ im Kunstpavillon Alter Botanischer Garten. Hain beweist, dass Erotik in der Fotografie nicht primär durch die Oberflächenreize schöner, nackter Haut konstruiert wird: Erzeugt wird die Erotik in ihrem Werk vermittels der Subtilität des besonderen Gesichts- und Körperausdrucks ihrer Modelle. Tief im Menschen verborgene Befindlichkeiten und Prozesse wollen dabei erkannt und berücksichtigt werden, verbergen sie bei jedem Menschen doch innewohnende Geheimnisse.
Eine ihrer schönsten Ausstellungen hatte Antje Hain in Kurhaus von Wiesbaden 1999 unter dem kryptischen Titel „Sehnsucht Die Leidenschaft“. Hier fand dann auch 2011 eine weitere Ausstellung unter dem Titel „Des Meeres und der Liebe Wellen“ statt.
Edel ist wohl ein zutreffender Ausdruck, mit der ihre neueste Veröffentlichung zu kennzeichnen ist – ihr aktuelles, großformatiges Fotobuch. Mit Wahrheiten, welche von den Bildern Antje Hains ausgehen, in ganzer Schönheit, die jedoch auch Hässlichkeit und Gewalt erahnen lassen.
Über die Aktbilder und die Blumenlandschaften hinaus geht es auch um weitere, wesentliche Ausbildungen von Antje Hains Kunst: Um so bezeichnete „Lappenbilder“, Leinenbilder“ sowie die „Vogelscheuchen“.
In solchen Lappenbildern konstruieren sich im Wind tanzende Stoffe, in Dimensionen von bis zu 20 mal 10 Metern, eine Bühne für einen wirkungsvollen Auftritt, hochdramatisch, in der oberbayerischen Naturlandschaft. In Form der Vogelscheuchen-Bilder, die in Seeon entstanden sind, wird insbesondere das Archaische gefeiert, es wird sowohl Schrecken verbreitet als auch Schutz gewährt.
In der außergewöhnlichen Technik der Leinenbilder, in Form übergroßer Bildformate, hat schließlich Antje Hain Werke geschaffen, die zum Eindrucksvollsten gehören, was die Fotokunst kennt: Der elegante Schwung eines gebogenen Torsos mit vollendeter Brust, von der Seite erfasst als ein beiges, grafisches Zeichen; und die Großaufnahme des Antlitzes eines „Alten Mannes“, der mit geschlossenen Augen für die Berührung mit der Brust einer nicht sichtbaren Frau den Mund leicht geöffnet hat: ein im Ineinandergreifen von erotischer Verzückung und Pietà-Haltung erschütterndes Werk, welches in seinem religiösen Pathos an die Skulptur „Die Ekstaste der Heiligen Theresa von Avila“ von Bernini denken lässt.
„Unendliche Andersheit“ – dieser Titel einer Ausstellung von Antje Hain im Jahre 2005 gibt ein Stichwort für das Werk dieser aussergewöhnlichen Künstlerin: Welches so unzeitgemäß, ein klein bisschen altmodisch daherkommt, doch im gleichen Maße visionär ist, einem zu Tode geschundenen Medium, nämlich der Fotografie, die Fähigkeit wieder zurückerobern will, auratische Bilder in die Welt zu setzen.
Dr. Elmar Zorn, September 2015